Wir ließen der Natur ihren Lauf
Montag 07 Okt 2024 · 3:45
Fernsehzeitung
TV Hören und Sehen / Nr. 41 / 12.10. - 18.10.24 / Seiten 6 und 7
Was
wirklich zählt
Kino
- Tipp / Ab 10. 10.24 im Kino / Der Dokumentarfilm "Wildes Land.
Die Rückkehr der Natur"
Atemberaubende
Aufnahmen, dazu eine Geschichte, die nach einem Märchen klingt und
doch wahr ist:
"Wildes
Land" ist auch als Buch von Isabella Tree, Dumont Verlag
erhältlich.
Mehr
Infos : https//knepp.co.uk
"Wir
ließen der Natur ihren Lauf . . . "
Von
der Weisheit der Natur
Isabella
Tree und ihr Mann Charlie Burrell starteten auf ihrem Landgut Knepp
in Sussex
ihr
Renaturierungsprojekt, heute eines der bedeutendsten in Europa.
Dass
eine Niederlage etwas Einzigartiges hervorbringen kann, erlebt die
Britin Isabella
Treee
(60) :
Aus
ihrem maroden Bauernhof wird ein "Wildes Land", ein
ungewöhnliches Naturprojekt -
davon
erzählt jetzt ein Kinofilm.
Was
fasziniert Sie an der Natur, Isabella ?
Ihre
Macht - welche Kraft ihr tatsächlich innewohnt, das hat sie mir in
den vergangenen 25
Jahren
gezeigt . . .
.
. . inwiefern ?
Ich
bin auf dem Land großgeworden.
Die
Natur war immer da, war irgendwie selbstverständlich. Ein steter
Begleiter.
Seit
meiner Hochzeit mit Charlie lebe ich auf dem Landgut Knepp, 70 km von
London entfernt.
Als
er hier 1987 das Ruder übernahm, tat er, was wahrscheinlich jeder
moderne Bauer tat :
Er
rationalisierte, intensivierte, diversifizierte - doch der Boden war
schlecht,
die
Ernte selten gut, die Artenvielfalt schwand, mit ihr auch die
Turteltauben.
Erfolge
blieben aus. Unser Hof stand vor dem Ruin.
Wir
verkauften allle Geräte, die Milchkühe.
Und
? Was haben Sie dann gemacht ?
Nichts.
Garnichts. Wir ließen der Natur ihren Lauf.
Wenn
wir morgens aufwachten, fanden wir uns bald schon in einer sanft
gewellten Prärie wieder.
Keine
Maschinen mehr, keine stramm aufgereihten Feldpflanzen, keine Zäune.
Der Boden
schien einen Seufzer der Erleichterung auszustoßen.
Und
mit dem Boden entspannten auch wir uns.
Etwas
Sanfteres, Harmonischeres schien zum Leben zu erwachen.
Eine
Wildblumenwiese !
Zum
ersten Mal taten wir etwas MIT unserem Land, statt gegen es
anzukämpfen.
Wie
fühlte sich das an ?
Wir
liefen durch Margeriten, Hornklee, Kuckucks - Lichtnelken, Schwarze
Flockenblumen,
Rotklee,
Echtes Labkraut, Kammgras und jagten dabei Wolken von Schmetterlingen
in die Luft -
Hauhechel
- Bläulinge, Große Ochsenaugen, Braune Waldvögel und
Schachbrettfalter -
dazu
Grashüpfer, Libellen und alle möglichen Arten von Hummeln.
Es
flatterte, hüpfte, flirrte und surrte.
Erst
da wurde mit klar, wie sehr ich mich im Laufe der Jahre von der Natur
entfernt hatte.
Und
wie sehr ich mich nach ihr zurücksehnte.
Doch
jetzt hatte uns die Natur gefunden. Uns wiedergefunden.
Was
hat die Natur Sie über Liebe gelehrt ?
Dass
du Dich um unseren Planeten und die Menschen um dich herum genauso
gut kümmern
solltest
wie um dich selbst.
Im
Kathmandu - Tal traf ich einen Bauern aus dem Newar - Volk.
Er
erklärte mir, warum er seinen Boden nicht pflügt :
Weil
es sich anfühle, als würde man mit Nägeln das Gesicht seiner
Mutter zerkratzen.
Er
konnte in seinem Herzen den Schmerz spüren - das ist Liebe.
Verbundenheit.
Spüren
Sie, dass Sie sich verändert haben ?
Ich
bin achtsamer geworden, dankbarer.
Die
Natur ist heute nicht mehr so selbstverständlich für mich, sondern
etwas unendlich Kostbares.
Sie
hat mich Loslassen gelehrt. Vertrauen. Wir sind Kontrollfreaks.
Wollen
Ordnung und Planung statt Chaos.
Doch
je mehr ich mich darauf einließ, der Natur ihren Raum zu geben,
damit sie sich entfalten
kann,
umso leichter fiel es mir, zuzuhören. Zu beobachten.
Zu
fühlen. Ich bin gelassener geworden, weil ich gesehen habe, dass die
Natur so vieles zum Guten werden kann.
Und
wenn sie es schafft, gelingt es mit bei meinen Problemen auch.
Dieser
Gedanke gibt mir Kraft.
Hoffnung
bedeutet . . .
.
. . zu wissen, dass die Natur heilen kann.
Das
Leben will leben - wenn wir es lassen.
Vor
meinem Fenster kreisen gerade 30 Weißstörche.
Erstmals
seit 600 Jahren fliegen sie wieder über Großbritannien.
Ich
höre wieder Turteltauben, sie sind zurück. Hoffnung heißt,
offen für Wunder zu sein.